Leseprobe 4

Guyana

„Es befanden sich noch 5 Schiffe mit Soldaten bei uns, die Reise war sehr gut bis unter die Canaren; da hatten wir 2 Tage Stille. Endlich erreichten wir Suriname, doch durften wir es nicht wagen, wegen der Engländer.
Wir fuhren hinüber bis gegen Barabis; von da nach Hurbana, und weiter nach Demerey Revirs. Da landeten wir an der Fortifikation St. Friedrich Wilhelm, dort nahm die Festung das Militär in Empfang, die Matrosen der Coroniel Jolobe, und versetzte uns oben in die Revier oben bei Santhil, um Holz zu hauen für die Festung mit 8 Mann.“

Die Küste von Guyana zwischen Essequibo und Berbice River (die Karte ist nach Süden ausgerichtet); 1798
Die Küste von Guyana zwischen Essequibo und Berbice River (die Karte ist nach Süden ausgerichtet); 1798
(F. von Bouchenroeder, Amsterdam 1798. https://www.britishempire.co.uk/images2/1798guianamap.jpg rev. 2019-03-04)

Es ist eine kleine niederländische Flotte, die sich auf den Weg in die niederländischen Kolonialgebiete im Norden Südamerikas gemacht hat. Die Schiffe erreichen die Kolonie Demerara im Sommer 1796 in einem Moment, in dem die Engländer dabei sind, Teile der niederländischen Besitzungen zu erobern – nachdem Frankreich 1795 die Niederlande besetzt hat, führt England nun auch Krieg gegen die Niederlande und ihre Kolonien. Mit Barabis meint Engelhardt die holländische Kolonie Berbice am gleichnamigen Fluss; hier und am knapp 100 km entfernten Demerara River liegen viele Plantagen, die von Europäern, vor allem Holländern und Engländern, bewirtschaftet werden, alle mit Hilfe von Sklaven, die im atlantischen Dreieckshandel aus Westafrika nach Südamerika gebracht werden.
Der niederländische Militärposten St. Friedrich Wilhelm liegt dagegen am Maroni River im Osten von Suriname, am Grenzfluss zu Französisch-Guyana. Engelhardt ist auf einem niederländischen Schiff, und die Soldaten an Bord müssen die Besatzung des Forts verstärken, während ein Oberst – der Titel Coronel lässt eher auf einen Spanier schließen, der Name Jolobe deutet auf eine afrikanische Herkunft – die Matrosen des Schiffs in eine Art Straflager am oberen Lauf des Maroni River bringt, etwa 190 km von der Mündung entfernt. Der Ort heißt heute Grand-Santi und liegt auf der französischen Seite des Flusses.
Die Entfernungen, die Engelhardt in Südamerika zurücklegt, sind erstaunlich. Aber er teilt nur wenige Einzelheiten über diese mühsamen und weiten Strecken mit.

„Als wir 8 Tage da waren, in so einem engen Revier und unausstehlicher Hitze, da war es ärger als in einer Gefangenschaft; und weil wir gerade in der Faulseuche ans Land kamen, da wurde einer um den andern krank. Das Faulfieber raffte täglich 10–12 Mann hinweg; weil alle 2 Jahre die Krankheit herrschend ist, raffte sie alle meine Kameraden bis auf 3 hinweg.
Unverzüglich mußten wir nach der Stadt Stabeueck kommen. Bis wir die Revier hindurch kamen, lagen die Engländer daselbst; am 2ten Tag wurde die Stadt mit Festung übergeben. Was das Militär betrifft, nahm Dienst, und wir 3 wurden freigegeben.“

Die niederländische Kolonie ist am knapp 200 km westlich des Maroni River liegenden Demerara River 1745 gegründet worden, 50 Jahre vor Engelhardts Ankunft. Die Franzosen legen 1782 unter dem Namen Longchamps eine Stadt am Unterlauf des Flusses an, die Holländer taufen sie wenig später Stabroek.
So heißt sie auch 1796 noch, als Engelhardt dort ankommt – nach dem ehemaligen Chef der niederländischen Westindien-Kompanie, Nicolaas Geelvinck, Herr von Stabroek. Die Engländer taufen sie wenig später in Georgetown um, sie ist heute die Hauptstadt von Guyana.
Die ehemals niederländische Kolonie heißt heute Suriname, im Osten davon liegt Französisch-Guayana, bis heute ein Teil Frankreichs.
Wieder einmal leiden die Männer unter Ungeziefer – Faulfieber oder Fleckfieber, wie es heute heißt, wird durch Läuse und Milben übertragen, eine bakterielle Infektion, an der zu Engelhardts Zeit Tausende starben.

„Ich begab auf eine große Plantage, der große Diamant genannt. Da war ich 1/2 Jahr als Aufseher.“

„Ihr kommt aus der Pfalz?“
„Nicht ganz, meine Herrschaft zählt zur Hälfte zum Ritterkanton Kraichgau.“
John Carter war mit der Auskunft nicht zufrieden. „Könnt ihr das etwas genauer angeben?“
„Mein Dorf heißt Berwangen, es liegt zwischen Sinsheim und Heilbronn, ihr werdet es nicht kennen.“
„Ich bin zwar nur ein einfacher Pflanzer an der Peruküste, der in der Plantage seines Vaters aufgewachsen ist, aber wir haben hier auch Bücher, und wir lesen was vorgeht in der Welt, in Europa. Habt ihr etwas von der Revolution der Franzosen mitbekommen?“
Jetzt begann August zu erzählen, Gräuelgeschichten über das Fallbeil in Paris, von den Bewohnern von Toulon, die sich gegenseitig aufgegessen hätten während der Belagerung durch die Engländer (seinen Dienst auf der HMS Nymphe und bei der britischen Navy ließ er wohlweislich weg), und er flocht geschickt seine Jugenderinnerungen ein, dass er in der Landwirtschaft des Vaters gearbeitet hätte, dass er sich mit Knechten und Mägden auskenne, ebenso mit den Tieren.
John Carter, dem die Plantage „Diamant“ am Demerara River gehörte, war beeindruckt. „Wollt ihr bei mir arbeiten? Ich brauche einen tüchtigen Aufseher für meine Sklaven. Aber seht euch vor – das sind keine deutschen Knechte und Mägde. Die sind wie wilde Tiere! Sie gehorchen nur der Peitsche.“