Über das Projekt

Im Frühjahr 1992 war ich neben anderen Aufträgen damit beschäftigt, für die Gemeinde Kirchardt im Landkreis Heilbronn einen zweiten Band des Heimatbuchs zu erarbeiten (Kirchardt, Berwangen, Bockschaft. Ein Heimatbuch. Redaktion Peter Wanner. Kirchardt 1991). Es sollte 1993 zum 1200-Jahr-Jubiläum des Ortsteils Berwangen erscheinen; es hatte sich dazu ein Arbeitskreis mit Bürgern aus allen drei Kirchardter Ortsteilen zusammengefunden, ein erfolgreiches Modell, das schon beim ersten Band praktiziert worden war.

Bei einer Sitzung dieses Arbeitskreises wurde mir ein 46 Seiten starkes Schreibmaschinen-Manuskript mit dem Titel „Lebenslauf von Johann August Engelhardt aus Berwangen“ übergeben, das von einem Mitglied des Arbeitskreises stammte und in mehreren Kopien im Umlauf war.

Für das geplante Buch über Berwangen war der Text zu lang; deshalb tauchte schnell die Idee auf, ihn als eigenständiges Buch zu veröffentlichen. In das 1993 erschienene Buch (Berwangen, Bockschaft, Kirchardt. Ein 2. Heimatbuch. Redaktion Peter Wanner. Kirchardt 1993) wurde ein kurzer Bericht über den Text aufgenommen (s. Der Lebensbericht des Johann August Engelhardt).

Nach dem Schreibmaschinen-Manuskript tauchte ebenfalls aus dem Autorenkreis in Berwangen die Vorlage dafür auf, ein gebundenes Buch im Format 21 x 16,5 cm, mit 133 von Hand beschriebenen Seiten und einer Zeichnung des Engelhardtschen Hauses in Berwangen von Max Luchner aus dem Jahr 1961. Die Handschrift stammt von zwei verschiedenen Schreibern des 19. Jahrhunderts; der Wechsel findet von S. 88 nach S. 89 statt. Die Seiten sind paginiert in der Schrift des zweiten Schreibers.

Die Handschrift ließ sich nach Sulzfeld zurückverfolgen, wo sie beim Abbruch eines Hauses gefunden worden war. Sie wurde wohl auf dem Berwanger Rathaus abgegeben, wo der Vater der damaligen Besitzerin Bürgermeister war. Die Handschrift stand während der Arbeiten am oben genannten Buch zur Verfügung und musste im Mai 1993 zurückgegeben werden.

In der Folgezeit blieb das Projekt einer Veröffentlichung des Textes liegen, ohne ganz in Vergessenheit zu geraten. Ich wollte diese Geschichte auch weiterhin erzählen, diese Geschichte von der großen weiten Welt und von dörflicher Enge. Diese Geschichte, die an einem Beispiel zeigt, wie Europa reich wurde durch die Kolonien, durch die Sklavenarbeit, durch die Unterdrückung und Ausbeutung der Welt. Auch das Kapital Engelhardts, das er beim Bankhaus Bethmann in Frankfurt deponiert hatte, trug hier in Deutschland zum industriellen Aufschwung bei.

Es blieb jedoch die Frage, wie der Text präsentiert werden sollte – als reine Edition der Handschrift, ohne Veränderungen? Oder mit Fußnoten versehen, die einzelne Begriffe erläutern, geografische Namen übersetzen, Kommentare enthalten? Oder als völlig freie Wiedergabe, vielleicht als Teil eines Reise- und Bildungsromans, nur in Grundzügen an den tatsächlichen Erlebnissen Engelhardts orientiert?

Und: Wie glaubwürdig ist der Text Engelhardts überhaupt? Können seine Erlebnisse belegt werden? Welche Quellen kommen dafür in Frage? Erste Recherchen in den 1990er Jahren zeigten, dass sich zumindest seine geographischen Angaben verifizieren lassen; meine Recherchen seit Herbst 2016 haben dies bestätigt, ebenso viele weitere Details in Engelhardts Lebensbericht, sowohl auf seinen Reisen als auch in Berwangen im Kraichgau: es „kann von vielem Zeugniß gegeben werden, als dessen was zu Wasser und zu Land, mir als Dienstbote wiederfahren ist“, wie Engelhardt in seiner Einleitung selbst formuliert.

Aber Engelhardts Sprache ist vielfach nicht auf Anhieb zu verstehen. Sie ist nicht nur altertümlich, er ist auch kein geübter Schreiber, er ist umständlich, sprunghaft und natürlich subjektiv. Daraus folgt, dass es einer zweiten Ebene des Erzählens bedarf, die objektiver einordnet, Sprünge ausfüllt, Erklärungen gibt, übersetzt und kommentiert. Auf diese Weise konnte Engelhardts Text vollständig und unverändert stehen bleiben, nur die Orthografie wurde vorsichtig angepasst. Lediglich in der Einleitung wurden einige Vorgriffe gestrichen, die sich später wiederholen.

Bei der praktischen Umsetzung dieser beiden Ebenen kam eine dritte hinzu: Fiktive Einschübe bringen uns die Person näher, füllen vieles mit Leben, was Engelhardt nur andeutet, sollen seine Geschichte plastischer machen.

Schließlich wurden noch Abbildungen ergänzt, um seine Reisewege zu illustrieren, in der Regel anhand zeitgenössischer Karten, sowie einige der in Archiven und in den Kirchenbüchern aufgefundenen Quellen, die Engelhardts Darstellung belegen und an manchen Stellen seine Erinnerung korrigieren.

Im Sommer 2019

Peter Wanner